Menschen haben Ängste. Das ist normal. Wer sich jedoch von seinen Ängsten aufhalten lässt, verschenkt Potentiale. Ängste können auch als Wegweiser Richtung Neuentwicklung genutzt werden und dann sogar zur Kraft werden. Wie das gelingt, beschreibt dieser Artikel:
Nahezu jeder kennt es: das bange Gefühl, wenn eine neue oder wichtige Aufgabe ansteht. Die Angst vor einer Prüfung, vor einer wichtigen Präsentation, einer schwierigen Verhandlung oder einem konfliktträchtigen Gespräch. Herausforderungen werden ganz oft von Ängsten begleitet. Mutig ist nicht, wer keine Angst hat, sondern, wer trotzdem handelt.
Unsere Ängste – woher kommen sie eigentlich?
Unsere Vorfahren haben überlebt, weil sie vorsichtig waren. Bevor sie sich auf ein unbekanntes Terrain wagten, galt zu prüfen, ob es da auch sicher ist. Wer zu riskant lebte, hatte keine Gelegenheit mehr, seine Gene weiterzugeben. Genauso überlebenswichtig war es, zum Stamm dazuzugehören. Alleine zu überleben, war als Jäger und Sammler nahezu unmöglich. Auch heute noch sind uns deshalb die Meinung von anderen und unser Ansehen in der Gruppe so immens wichtig. Fühlen wir uns zugehörig und anerkannt, gibt uns das ein tiefes Gefühl von Sicherheit. Außenseiter zu sein oder gar verachtet zu werden, fühlt sich dagegen sehr schmerzhaft an. Die Angst zu versagen, steckt uns daher genetisch tief in den Knochen. Kommen dann noch übervorsichtige Eltern hinzu, übernimmt der Nachwuchs oft die ängstliche Haltung. Als Erwachsener ist es dann schwer, zu unterscheiden, wo ist die Angst berechtigt und wo fiktiv oder völlig überzogen.
Typische Angstvermeidungsstrategien und ihre Folgen
Angst fühlt sich nicht gut an. Daher wären wir sie am liebsten los. Das funktioniert oft über kleinere oder größere Ablenkungsstrategien. Die beliebtesten Anti-Angst-Strategien sind Verdrängen und Vermeiden. Lieber im Internet surfen, als die schwierige Aufgabe zu beginnen. Lieber noch alle möglichen anderen Aufgaben erledigen, als die Steuererklärung anzupacken. Das Prokrastinieren, also das ständige Aufschieben von Aufgaben, hat ganz viel mit Angst zu tun. Auch Perfektionismus oder nicht „nein“ sagen können sind die Folge von einschränkenden Ängsten. Doch wer perfekt sein will, vergeudet zu viel Zeit mit unnützen Details. Wer aus Angst vor Ablehnung es allen recht machen will, lädt sich zu viele Aufgaben auf.
Ängste - berechtigte Mahner oder Saboteure?
Ein Leben ohne Angst gibt es nicht. Ängste haben eine wichtige Warnfunktion. Sie zeigen, da kommt etwas Neues, da gilt es vorsichtig zu sein. Werden Ängste jedoch unangemessen groß, können sie uns von wichtigen Entwicklungsschritten abhalten. Dann wird das neue Projekt lieber Kollegen überlassen. Der ungeliebte Job oder die belastende Beziehung werden aus Angst vor der Veränderung beibehalten. In unserer Komfortzone fühlen wir uns sicher. Doch dann stagniert das Leben. So werden Ängste zu Saboteuren, die kleinhalten und Entwicklung behindern. Ein gelingendes Leben zu führen, erfordert immer wieder, Ängste zu überwinden. Natürlich gibt es auch Menschen, die sich überschätzen und denen man eine realistischere Einschätzung ihrer Fähigkeiten wünscht. Für die Mehrzahl der Menschen gilt aber eher das Gegenteil: wenn es ihnen gelingt, die hindernde Ängste zu überwinden, kommen sie weiter. Es gilt daher zu klären, wann ist die Angst ein wichtiger Warnblinker, der sagt hier ist Vorsicht geboten? Und wann ist die Angst eine völlig überzogene Fantasie? Fungiert die Angst als Warnblinker, ist sie nützlich, um sich gut vorzubereiten oder zu schützen. Ist die Angst ein unbegründetes Hirngespinst, heißt es, sich damit auseinanderzusetzen, um sie zu überwinden.
Was hilft im Umgang mit den eigenen Ängsten?
Fritz Riemann sieht in seinem Klassiker „Die Grundformen der Angst“ diese als Begleiter von Reifeprozessen. Wer sich entwickeln will, muss lernen, Ängste auszuhalten und durchzustehen. Ängste zu verdrängen oder zu versuchen, diese zu unterdrücken, funktioniert nicht. Es ist besser, die eigene Angst zu akzeptieren und zu lernen, damit umzugehen.
Bei dem Rückblick auf das eigene Leben wird meist klar, viele Entwicklungsschritte sind mit Ängsten verbunden. Zum Studium in eine andere Stadt ziehen, einen neuen Job anzutreten, Prüfungen ablegen, zum ersten Mal eine Präsentation halten oder andere neue Aufgaben übernehmen - all dies sind Entwicklungsschritte, die weiter bringen. Die Erfahrung wächst, das Selbstwertgefühl steigt durch die bewältigte Herausforderung. So entsteht Selbstwirksamkeit, d.h. der Glaube, auch zukünftig Aufgaben gut bewältigen zu können. Die Erinnerung an solche vergangenen Erfolge hilft, die Angst zu relativieren. Wer Angst bemerkt und am liebsten kneifen will, kann sich bewusst machen, dass die Angst nichts anderes als ein Wegweiser zu einem neuen Entwicklungsschritt ist. Die Angst zeigt, hier kann ich wachsen. Dadurch kann eine andere Sichtweise auf die Angst entstehen. Auch wenn das Herz pocht, auch wenn die Knie zittern, all dies ist kein Grund, um sich aufhalten zu lassen. Hier hilft es, die Symptome der Angst wahrzunehmen, aber nicht allzu ernst zu nehmen. Ein innerer Dialog mit der Angst kann ebenfalls helfen, eine andere Perspektive zu entwickeln: „Hallo Angst, Du bist dieses flaue Gefühl im Bauch, das Herzklopfen, meine unsichere und pessimistische innere Stimme. Ich kenne Dich, akzeptiere Dich und halte Dich aus. Du wirst mich nicht davon abhalten weiterzugehen. Du spornst mich an, mich gut vorzubereiten. So bist Du mein ungeliebter Helfer. Du bist der Vorbote meines Stolzes, wenn ich etwas geschafft habe. Und Du bist der Zwilling meines Mutes. Deshalb bin ich bereit, Dir jetzt in die Augen zu sehen und durch Dich hindurch zu gehen.“
Reflexion der Ängste
In ihrem Buch „Vom Sinn der Angst“ empfiehlt die Psychologie-Professorin Vera Kast von der Universität Zürich ebenfalls, Angst als Entwicklungsbegleiter zu sehen und dann darüber zu reflektieren:
Auch Dale Carnegie empfiehlt in seinem Klassiker „Sorge Dich nicht, lebe“ bei großen Ängsten die Frage: „Was ist das schlimmste, was mir in dieser Situation passieren kann? Und falls das passieren sollte, wie mache ich dann das Beste aus dieser Situation?“
Den inneren Kritiker und Pessimisten besänftigen
Welch ein Glück, dass wir, als wir laufen lernten noch keinen inneren Kritiker hatten, der sagte: „Das schaffst Du nie“. Wer weiß, wie viele sonst aufgegeben hätten. Ängste haben immer eine mentale Komponente, die sich in pessimistischen und mißepetrigen Gedanken äußert. Ihr Grundtenor lautet: „Das ist viel zu schwierig“. So entsteht schnell der negative Teufelskreis der selbsterfüllenden Prophezeiungen. Hier gilt es, ganz bewusst dagegen zu steuern. Der Psychologe Ethan Kross, Professor für Sozialpsychologie an der Universität Michigan, zeigt durch seine Studien, wie das sehr gut funktioniert. Dafür stellte er seinen Probanden vor herausfordernde Aufgaben. Dann wies er sie an, im Vorfeld und während der Aufgabe einen aufmunternden Dialog in Du-Form mit sich selbst zu führen: „Du machst das gut, Du wirst das schaffen“ - solche bestärkenden Formulierungen, mit denen auch ein guter Freund oder eine liebende Großmutter Mut machen würden, erwiesen sich als sehr hilfreich. Die Probanden, die diese Strategie anwandten, waren deutlich souveräner, weniger gestresst und machten weniger Fehler als die Vergleichsgruppe. Kross konnte zeigen, dass sich die Angst nicht nur während der Aufgabe, sondern auch danach deutlich reduzierte.[1]
Was hilft bei massiven und ganz irrationalen Ängsten?
Treten Ängste in Begleitung von Lebenskrisen auf, kann es hilfreich sein, sich in Erinnerung zu rufen, dass tausende von Menschen bereits mit solch einer Situation konfrontiert waren. Wie sind sie damit umgegangen? Was hat ihnen geholfen, mit der Situation zu rechtzukommen? Antworten auf solche Fragen zu recherchieren, ist ebenfalls eine gute Möglichkeit, um den eigenen Ängsten nicht ohnmächtig ausgesetzt zu sein.
Bei manchen Menschen ist die Angst so groß, dass auch die besten Mentalstrategien gegen die Angst nicht wirken. Als Mitglied von Prüfungsausschüssen habe ich es immer wieder erlebt, wie eine starke Prüfungsangst ein gutes Abschneiden verhindert hat. In ganz extremen Fällen haben Prüfungsteilnehmer im wörtlichen Sinne die Flucht ergriffen. Das Unbewusste ist letztendlich stärker als der bewusste Verstand. Ist die Angst zur Panik angewachsen, braucht es deshalb eine Herangehensweise, die direkt auf das Unbewusste einwirkt. Hier hat sich eine Methode bewährt, die aus der Traumatherapie kommt. Sie wird als EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) bezeichnet. Im Coaching heißt die Methode Wing-Wave. Es gibt zahlreiche Coachs, die mit Wing-Wave Menschen dabei unterstützen, ihre irrationale Ängste und Phobien abzubauen.
Wenn wir uns unseren Ängsten stellen, tun wir sehr viel für uns selbst. Wir müssen Ängste nicht erst loswerden, bevor wir handeln können. Weder brauchen wir sie zu bekämpfen noch zu verdrängen. Je mehr wir sie akzeptieren, und mit ihr umgehen lernen, umso mehr werden sie zu Wegweisern unserer Entwicklungsschritte. Deshalb gilt: Spüre die Angst und handle trozdem.
© Autorin: Petra Weber
[1] In Psychologie heute, Februar 2016, zitiert nach Journal of Personality and Social Psychology, 106/2, 2014, 304-324
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